Nun ist die Bibel endlich fertig gelesen und zu „sonstige Fantasy“ einsortiert worden, und ich konnte endlich mal was anderes lesen. Als erstes ein Buch, dass ich mir ziemlich zeitgleich mit der Bibel auf den Reader geladen habe, aber nicht gleichzeitig lesen konnte:
Gulliver’s Reisen
Ja, kennt man irgendwie, oder? Lilliputaner und Riesen. Was ich nicht kannte, und auch nicht erwartet hatte, war die starke Gesellschaftskritik. Die Story besteht aus vier Reisen: Gulliver ist schiffbrüchig und landet auf einer von zwei nahe beieinanderliegenden Inseln, die von kleinen Leuten bewohnt werden, die etwa ein zwölftel seiner Höhe haben. Er wird erst gefesselt, erkämpft sich das Vertrauen des Königs und hilft bei dessen Krieg mit dem König der anderen Insel. Er fällt in Ungnade, flieht auf die andere Insel, von dort haut er Richtung England ab.
Er reist wieder, strandet wieder an einem unbekannten Strand, und stellt fest, dass hier Riesen leben. Diese sind 12 mal so groß wie er. Auch hier kommt er bald zu der Königsfamilie; wird aber bei einem Ausflug in seinem portablen Zimmer von einem Vogel mitgenommen und ins Meer fallen gelassen, wo er von Seefahrern gefunden wird.
Abermals reist er, diesmal als Kapitän; seine Crew meutert und setzt ihn aus. Er landet bei einem Volk, dass auf einer durch magnetische Levitation schwebenden Insel lebt und das Geometrie und Effizienz liebt. Die Insel ist eine mächtige Waffe – man kann Städte, die keinen Tribut zahlen wollen, einfach zerquetschen – aber eine, die man nicht anwenden will, denn niemand weiß, wieviel Schaden die Insel selbst näme. Gulliver reist hier „legal“ aus und gibt sich als Holländer aus, um über Japan nach Europa zurückzukommen (Engländer dürfen nicht nach Japan). Zwischendurch kommt er bei Zauberern vorbei, die jede beliebige Person aus der Weltgeschichte für einen Tag (oder so) heraufbeschwören können.
Zu guter letzt kommt Gulliver in ein Land, in dem Pferde intelligent sind und reden können und die Menschen dumme Kreaturen, die von allen anderen Tiere gemieden werden. Der sprechende Gulliver freundet sich mit den Pferden an, aber als klar wird, dass er eigentlich einer der Menschen ist, muss er zuletzt fliehen und kommt wieder nach England, diesmal für immer.
Auf seinen Reisen macht Gulliver eine Wandlung durch, vom ehernen Verfechter und Verteidiger der Europäer und vor allem der Britten, zu jemandem, der alle Menschen hasst und sich nur mühsam in die Gesellschaft wiedereingliederen kann. An jeder Station kommt er an sehr merkwürdigen Regeln vorbei, denen er die Britischen Regeln entgegenhält, nicht immer zum Vorteil der Europäer: Die kleinen Menschen haben einen religiösen Krieg darüber, auf welcher Seite man das Ei aufschlagen muss. Sie berufen sich auf den gleichen heiligen Text, der sagt, man solle das Ei auf der „praktischen“ Seite aufschlagen. Die einen sagen nun, das sei die Seite, auf der es am leichtesten geht, die anderen sagen, es sei die Seite, bei der man nicht wegen des vor drei Generationen erlassenen Gesetzes getötet wird. Jonathan Swift lässt seine Hauptperson in Begeisterung von vielen gesellschaftlichen Schieflagen in England berichten und überlässt dessen Gesprächspartner, zu erklären, warum das dargestellte nicht gut, und schon gar nicht das bestmögliche System ist, sondern eigentlich ein sehr korruptes und korrumpierbares System. Gulliver versteht natürlich überhaupt nicht die Argumente und gibt sie nur wieder, ohne sie sich zu eigen zu machen – das überlässt Swift dann dem Leser.
In der letzten Episode, bei den Pferden, lässt er aber diese Hülle fallen und kritisiert unumwunden die Menschen, die er den noblen Pferden gegenüberstellt und für in allen Belangen minderwertig hält. Letztlich entsteht seine Vertreibung aus dem Land der Pferde allerdings aus vollkommen rationalen Argumenten, nobel gegeneinander abgewägt und vollkommen ignorierend, dass sie auf Gulliver eigentlich nicht zutreffen. Komplett positiv bleibt diese Gesellschaft dann eben auch nicht.
Guns, Germs and Steel
Der deutsche Titel „Arm und reich“ tut diesem Sachbuch von Jared Diamond nur sehr bedingt recht; letztlich geht es nicht so sehr darum, warum ein Teil der Welt reich und ein anderer arm ist, sondern vielmehr darum, wieso die Europäer es geschafft haben, Nordamerika, Südamerika, Australien und Südafrika zu überrennen und warum sie es mit China und Afrika nicht oder nur bedingt geschafft haben.
Die direkten Gründe sind schnell aufgezählt: Die Europäer hatten Stahl für Rüstungen und Waffen, Schrift, die den Kriegern das taktische Wissen von 1500 Jahre alten (und älteren) anderen Kriegern verlässlich übermitteln konnte, und Krankheiten, denen wesentlich mehr Eingeborene in Süd- und Nordamerika und Australien zum Opfer fielen als den kriegerischen Handlungen der Europäischen Armeen. Oh, und Europa hatte eben die Schiffe, mit denen die Ozeane überquert werden konnten und die Pferde, mit denen die Kriegsführung noch viel überlegener wurde.
Doch Diamond versucht, zu begründen, warum es grade die Europäer waren, die diese Vorteile entwickelt hatten, und nicht die Azteken, Mayas oder Bantu. Diamond benötigt dafür keinerlei Biologistische Erklärung, er sucht also den Unterschied zwischen den Völkern nicht in genetischen Unterschieden, für die es weder empirische Beweise noch andere Argumente gäbe, und sucht vielmehr geografische Gegebenheiten, die es den Europäern ermöglicht haben, all diese Dinge zu entwickeln und den Rest der Welt hinter sich zu lassen (beziehungsweise unter sich aufzuteilen).
Ein starkes Argument dafür, dass die Geographie eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Menschengruppen spielt, nimmt er aus Polynesien, wo die Besiedlung von Inseln und Inselgruppen (vor dem Auftreten der Europäer) viel schneller zu einer Diversifizierung der Lebensumstände geführt haben, als genetische Veränderungen auftauchen können: Auf den Inseln, die es möglich machen, wurde Argrarwirtschaft ausgeführt, es haben sich straffe Bürokratien, Staaten und schließlich auch (Proto-)Imperien entwickelt, während an anderen Stellen die ursprünglichen Bauern wieder zu Jägern und Sammlern wurden.
Der große Vorteil der Europäer war zunächst, dass sie so nahe am Nahen Osten wohnen, denn die meisten unserer Errungenschaften stammen von dort: Metallurgie, Schrift, Staatswesen. Der Nahe Osten hat den Vorteil, dass hier Gräser vorkommen, die mit sehr kleinen genetischen Veränderungen domestiziert wurden, und so heute die Kohlenhydrat-Grundlage für praktisch alle Gesellschaften außerhalb der Tropen bilden: Weizen und Gerste. Zusätzlich gab es in Eurasien recht viele große domestizierbare Säugetiere – und es müssen viele gute Faktoren zusammenkommen, damit Tiere gezähmt und gezüchtet werden können. Pech für die Amerikas und Australien war, dass der (biologisch) moderne Mensch dort erst ankam, als er schon gute und effiziente Jagdtechniken entwickelt hatte, und die lokale Fauna leicht ausrotten konnte. In Afrika und Eurasien hat es eine Ko-Evolution gegeben, sodass genügend Tiere übrig blieben, aus denen die passendsten ausgewählt werden konnten, als die Menschheit so weit war, eine Verwendung für Nutztiere zu haben.
Ein letzter Punkt ist die Ausrichtung der Kontinente. Die orientalischen Errungenschaften konnten sich leicht in Ost-West-Richtung ausbreiten, denn das Klima verändert sich nicht genug, um eine Nutzpflanze oder ein Nutztier nicht mitnehmen zu können. Pferde konnten nie in der Sahel-Zone oder südlich davon etabliert werden, und genausowenig Kühe und Schweine. Erfindungen an einer Stelle in Eurasien konnten sich aber letztendlich immer in ganz Eurasien ausbreiten, und so kamen Hühner aus Asien nach Westen und Kühe aus Indien nach Osten, die Schrift breitete sich wahrscheinlich vom Nahen Osten aus und Pferde breiteten sich von der Ukraine über den ganzen Kontinent aus. Die gleiche Ausbreitung ist in den Amerikas unmöglich: Pflanzen, die in Mexiko angebaut wurden, konnten erst viel später den Sprung über die Wüsten Nordamerikas in die fruchtbaren Ebenen des Mississippis und nie den Sprung nach Süden schaffen, denn auf dem Weg konnte man sie nicht gebrauchen. Ähnliche Barrieren verhinderten auch, dass es Weizen nach Südafrika oder Australien geschafft hätte (wo es heute angebaut wird) – erst die moderne europäische Schifffahrt hat diese Sprünge möglich gemacht.
Nicht zu unterschlagen dabei ist, dass Mais, das Uramerikanische Getreide, wesentlich weiter von seinen wilden Vorfahren weg ist und es daher wesentlich länger gedauert hat, bis Mais domestiziert war – man muss bedenken, dass sich nie ein Jäger oder Sammler hingesetzt hat und überlegt hat, dass er jetzt mal das Jagen sein lässt und statt dessen versucht, für seine Nachkommen dieses Gras zu einer nutzbaren Pflanze zu machen.
Unterm Strich ist Guns, Germs and Steel ein nicht brilliant geschriebenes, aber sehr gut und schlüssig argumentierendes Buch, dass den Ist-Zustand der Welt betrachtet, analysiert und Gründe sucht und findet. Dabei macht Diamond nie den Eindruck, dass er den Ist-Zustand rechtfertigen will; im Gegenteil sagt er sehr explizit, dass es keine Grundlage für die Diskriminierung von Aboriginees, Native Americans und Afrikanern gibt. Diese haben einfach nicht das Glück, Nachfahren von Menschen zu sein, die in ihrer Nähe ein solch (ideen-)fruchtbares Gebiet wie den Nahen Osten zu haben, aber das sagt nichts über die heutigen Menschen aus.
Stolz und Vorurteil
Noch so ein Klassiker aus dem 19. Jahrhundert, von einer Frau über Frauen geschrieben. Hauptperson ist eine junge Frau mit eigenem Kopf, die mit ihrer älteren Schwester und ihrem Vater ein Gegengewicht zu ihrer albernen Mutter und den drei kleineren Schwestern bildet. Achtung, Spoiler: Am Ende heiraten drei Töchter; die beiden älteren kriegen ihre reichen Traumprinzen, wobei sich der Stolz des einen im Laufe des Buches wandelt; Stolz ist auch seine Familie, und die Vorurteile auf beiden Seiten spielen eine große Rolle, die sich aber letztlich als der Liebe nicht hinderlich erweisen.
Aktuell ist auf meinem Reader Krieg und Frieden von Tolstoj geladen, aber das zu lesen habe ich noch nicht angefangen.
Kommentare
Eine Antwort zu „Verrückte Reisen um die Welt“
[…] and Sensibility von Jane Austen fängt in gewisser Hinsicht genau so an wie Pride and Prejudice von der gleichen Autorin: Im ersten Kapitel die Exposition der Ausgangssituation, im zweiten […]