Sprachkurse für Erstklässler

Die aktuell durch die Medien getriebene Sommerlochsau ist ein Interview, das ein CDU-Politiker, Linnemann, gegeben hat. Der Stern hat dazu einen Kommentar, der Linnemann verteidigt, und ein Twitter-User, dem ich folge, sekundiert die Ansicht, dass Grundschulen keine Sprachschulen seien und fragt, was daran falsch sei. Nachdem mein Antwort-Rant ca 30 tweets erreicht hat, habe ich mich entschlossen, ein geeigneteres Medium zu wählen und mein Blog mal wieder zu füllen.

tl;dr: Das Problem sind nicht mangelnde Deutschkenntnisse zum Zeitpunkt der Einstellung, sondern mangelnde Betreuung in der Schule und schlechtes Lernklima.

Was ist also falsch? Die Prämisse, dass Grundschulen keine Sprachschulen seien zum Beispiel. Denn das sind sie doch. Aber von vorne:

Es geht Linnemann nicht darum, dass viele Kinder nicht richtig sprechen und zuhören können, wenn sie in die Schule kommen, sondern nur darum, dass sie es nicht auf Deutsch können. Es geht ihm nicht darum, dass die meisten öffentlichen Schulen unterfinanziert sind und zu wenige Lehrkräfte haben, und dass das hin- und her in der Personalpolitik der Kultusministerien sowie die Problematik, in anderen Bundesländern zu lehren, einen eklatanten Betreuungsmangel in den Schulen verursacht. Es geht ihm auch nicht darum, dass viele Kinder deutscher Eltern in der Schule das erste Mal mit Hochdeutsch in Berührung kommen, weil sie vorher nur Dialekt gesprochen haben.

Nein, es geht ihm um die Kinder ausländischer Eltern, die nicht in die Grundschule gehen dürfen, wenn sie kein Deutsch sprechen (der Stern-Artikel macht ein Riesenpunkt daraus, dass hier nicht „noch“ eingefügt ist: „wenn sie noch kein Deutsch sprechen,“ aber das macht doch keinen Unterschied: ich glaube nicht, dass irgendjemand das so verstanden hat, als wolle Linnemann den Kindern, die mit sechs kein Deutsch sprechen, für ihr ganzes Leben verbieten wollen, in die Schule zu gehen). Der Knackpunkt ist für mich, dass er die Deutschkenntnisse vor und nicht während der Schulzeit vermitteln will und dass er die Möglichkeit haben will, Kinder von der Schule auszuschließen, wenn das nicht geklappt hat. Prüfungsstress und „du bist zu schlecht“ noch vor der ersten Klasse.

Und wofür? Damit das Kind „dem Unterricht folgen“ könne. Dem Unterricht, in dem man jede Woche eine neue Ziffer lernt. In dem man Bilderbücher hat, in denen „EIN EI.“ „EIN EIS.“ „EINE ENTE.“ stehen. Es geht nicht darum, zu verstehen, was der Lehrer über den Zitronensäurezyklus an die Tafel schreibt, sondern über die Zeit, in der die sehr verschiedenen Vorkenntnisse der Kinder in allen Bereichen nivelliert werden und Lernen erlernt werden soll.

Besonders perfide ist es, wie hier (mal wieder) sozial Benachteiligte gegen „Ausländer“ aufgehetzt werden. Platt gesagt: Weil die Ausländer kein Deutsch können, können die armen Deutschen nicht gut lernen, deswegen gehen die reichen Deutschen an Privatschulen, damit vergrößert sich die Kluft zwischen Arm und Reich. Und abgesehen vom dieser Aussage inhärenten Rassismus ist es auch noch ableistisch, denn mit dieser Begründung und vor allem diesem Lösungsansatz lehnt man dann auch Inklusion nach der UN-Behindertenrechtskonvention ab.

Und bitte nicht falsch verstehen: ich will nicht sagen, dass es nirgends ein Problem gibt und dass es nirgends Handlungsbedarf gibt. Wenn in einer Schulklasse von 25 Kindern nur fünf Deutsch sprechen können, gibt es ein Problem. Wenn ein Kind in einer Klasse von 25, das kein Deutsch sprechen kann, ein Problem darstellt, versagen die Lehrkräfte und, by extension, die Schulpolitik. Und im ersten Beispiel muss ebenfalls ein Klima geschaffen werden, in dem die zwanzig Kinder gemeinsam gut Deutsch lernen können und wollen.

Dem allen liegen bei mir Überzeugungen zu Grunde, die ich versuchen möchte, offen zu legen:

  • Kinder, die in die Grundschule kommen und nicht lernen möchten, haben ein Problem, unabhängig davon, welche Sprache sie wie gut sprechen können. Wenn eine Grundschule gemeinsam mit den Eltern keinen Spaß am Lernen vermitteln können (oder den Spaß vermiesen), ist das schlecht für das Kind.
  • Kinder, die sich nicht ausdrücken können oder gesprochene Sätze in ihrer Muttersprache nicht verstehen können (und davon gibt es auch unter Deutschmuttersprachlern sehr, sehr viele) erfordern spezielle Betreuung.
  • Kinder, die sich in einer Sprache gut ausdrücken und zuhören können, können im Alter von sechs Jahren sehr schnell eine neue Sprache lernen, wenn sie damit konsequent konfrontiert werden und wenn sie diese Sprache brauchen, um sich damit zurecht zu finden. Sie brauchen eventuell parallel strukturierte Unterstützung.
  • Parallelgesellschaften, wie von Linnemann fantasiert, entstehen durch Segregation. „Du darfst nicht mitspielen, bis du so bist wie wir“ befördert genau das. „Komm mit uns mit, wir helfen dir, wenn du Probleme hast“ verhindern eine Segregation.
  • Armutsrisiko (der Stern-Artikel fantasiert was von „da zieht man dann ja Hartz-Ⅳ-Empfänger heran) ist stark mit Bildungsgrad der Eltern verknüpft, und dadurch mit der Bereitschaft und dem Enthusiasmus, etwas zu lernen. Wenn lernwilligen Kindern verboten wird, zu lernen, weil sie nicht gut genug Deutsch können, senkt das die Motivation zu lernen und führt damit zu einem höheren Armutsrisiko.

Was sollte man also tun? Kinder fördern. Deutschkurse für Vorschüler anbieten, die eine möglichst geringe Einstiegsschwelle haben. Deutsch-für-Ausländer-Stunden im normalen Schulkurrikulum anbieten. Gerne diese Kurse in die Schulpflicht integrieren!

Was man nicht machen sollte: was der Stern-Artikel am Ende fordert: „Erhebung von Bußgeldern, der Kürzung von Sozialleistungen, im Einzelfall möglicherweise auch dem Entzug von Aufenthaltsrechten.“ Kinder ausschließen. Finanziell schwach aufgestellten Deutschen erklären, dass die Ausländerkinder Schuld sind, dass ihre Kinder auch finanziell schwach gestellt sind. Weiterhin zu wenig Geld in Schulen investieren, und weiterhin auf jahrelange Einstellungs- und Verstetigungsstopps bei Lehrkräften kurze Panikzeiten einbauen, in denen ganz dringend tausende neue Lehrer gesucht werden, nicht besetzt werden können und die Referendare wieder nach elf Monaten bezahlter Arbeit einen Monat lang in den Sommerferien ohne Job dastehen. Den Betreuungsschlüssel in Schulen so lassen, wie er ist.


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