Ich bewerbe mich für eine Professor/Juniorprofessor-Position in Bergen. So weit, so gut. Nachdem ich einen schönen Brief an das Komitee verfasst hatte, fand ich heraus, dass man sich über offizielle staatliche norwegische Bewerbungssystem bewerben muss, was bedeutet, dass ich meinen Lebenslauf und Brief auseinanderpflücken und getrennt in einem komischen Webformular hochladen muss. Naja, ich kann irgendwo verstehen, wie das den Auswahlprozess einfacher macht, also füge ich mich gerne.
Eine der Anforderungen hieß aber „Wissenschafltiche Arbeiten, publiziert oder unpubliziert, sollten in fünf Kopien, voll inventarisiert und sortiert in fünf identische Bündel, mit normaler Post nach [Adresse] geschickt werden“. Da ich mir nicht sicher war, ob das ernstzunehmen ist, und da ich auch nicht wusste, welche wissenschaftlichen Arbeiten die meinen, fragte ich meinen alten Bergener Betreuer, der grade Frankfurt besucht. Ja, sagte er, wir lesen zwar durchaus noch auf Papier, aber wir haben Drucker und würden uns das, was uns interessiert, selbst ausdrucken, ich brauche es also nicht wirklich mit der echten Post verschicken.
Am Mittwoch erhielt ich dann eine Nachricht (Übersetzung von mir):
Wir bemerken, dass die wissenschaftlichen Arbeiten, nach denen wir gefragt haben, noch fehlen. Daher haben wir unzureichende Informationen, um Sie als Bewerber zu beurteilen.
Wir bitten Sie darum, spätestens 8 Tage nach Erhalt dieser Nachricht die fehlenden Dokumente einzuschicken:
… und der alte Text. Es scheint also, dass sie dann doch die Bäume sterben sehen wollen. Naja, Öko der ich nunmal bin, wollte ich absolut sicher gehen, was die denn wollen, also versuchte ich, einen Kontakt in Bergen ausfindig zu machen (das Bewerbungssystem macht es nicht direkt einfach, Fragen über das Verfahren zu stellen) und versuchte auch, Wissenschaflter mit Englisch als Muttersprache zu Fragen, was das genau bedeutet:
Does „Your scholarly works, published or unpublished“ mean every paper&thesis I’ve ever written? #followerpower cc @DrMRFrancis @AstroKatie
DrMRFrancis ist ein Wissenschaftsjournalist, den ich letztes Jahr bei der Quark Matter getroffen hatte, und ich folge AstroKatie seit kurz danach. Da ich typischerweise nicht auf Englisch twittere, glaube ich nicht, dass mir irgendein Englisch-Muttersprachiger Wissenschaflter folgt, deswegen habe ich die beiden explizit erwähnt. Lange Rede kurzer Sinn: AstroKatie antwortete, dass das scheinbar alles bedeutet, inklusive Papers und Abschlussarbeiten. Danke nochmal, AstroKatie!
Nun musste ich also alle meine Paper und Arbeiten vorbereiten und ein Inhaltsverzeichnis schreiben. Weil ich noch nicht allzulange Wissenschaflter bin, sind das 341 Seiten. Doppelseitig bedruckt und zwei Seiten auf einer, sind das dann immernoch 85×5 = 425 Blätter. Mit einem Gewicht von 80 g/m² und DIN A4-Papier (was 1/16 m² groß ist), komme ich auf ein Päckchen, das 2,2 kg schwer ist.
Noch unentschieden, was ich machen solle (und noch auf Antwort aus Bergen wartend), ging ich heim. Am Abend bekam ich eine Mail von einem befreundeten Forscher, der mir erzählte, er habe sich in Bergen auf eine Stelle beworben, und er muss alle seine Paper… naja, ich glaube, es ist klar, was er sagte. Er schrieb weiter:
Ich wohne in New York, wenn ich es heute schicke und sicher gehen will, dass es ankommt, muss ich hunderte, wenn nicht tausende Dollar bezahlen. [Dieser eine Bergener Professor] ist auf einer Konferenz diese Woche und kann mir also auch nicht helfen, ich überlege deswegen, wen ich in Bergen kenne.
Wenn du jemanden kennst, der mir diese blöden Dateien drucken kann und nach [Adresse] schicken kann, ich werde sofort alle Kosten per Überweisung begleichen, die irgendjemand damit hat (Druckkosten und so).
Meine Antwort war im Prinzip „ich auch, ich auch, ich auch, ich auch, nein.“ – ich kenne niemanden mehr in Bergen. Aber, schlug ich vor, da ich eh auch Zeugs drucken muss und per Mail schicken muss, könnte ich sein Zeugs einfach gleich mitdrucken, und ein großen Päckchen schicken.
Da er älter und länger dabei ist als ich, sind seine gesammelten Arbeiten 891 Seiten lang. (Eine Sache allerdings: Er druckt ein ganzes 185seitiges Paper aus, zu dem wir beide jeweils zwei Seiten beigetragen hatten. Ich habe nur diese zwei Seiten gedruckt. Dafür hat er scheinbar seine Abschlussarbeiten nicht dabei.) Er stimmte zu, auch seine Sachen klein und doppelseitig zu drucken, also sind wir bei 223×5 = 1115 Blättern für ihn angekommen, oder zusätzliche 5,6 kg. Zusammen haben wir 3240 Seiten und 7,7 kg. Daheim habe ich meinen alten ThinkPad-Karton gefunden, der in etwa DIN A4-Größe hat.
Während ich gedruckt habe, wollte ich mich entscheiden, wie ich eigentlich das Päckchen verschicken sollte. DHL, UPS, FedEx, GLS und TNT fielen mir ein. Die Parameter sind: Ankunft spätestens Mittwoch, 20. März, ein Päckchen mit 38×33×25 cm und 8 kg Gewicht, von Frankfurt nach Bergen. GLS und UPS zeigen auf ihrer Webseite keine Versandkosten, was schade war, weil das langsamste bei UPS (= das billigste?) am Mittwoch garantiert geliefert würde. Preise gibt’s aber nur für Versand innerhalb der EU. Die Webseite von TNT geht gar nicht, weder in Opera, noch Firefox, noch Chrome, und GLS verschickt gar nicht nach Norwegen.
DHL bietet 35 € an für ein Paket, dass – ohne Garantie — in 7-8 Tagen geliefert würde, und 47 € für 4-5 Tage, wieder nicht garantiert. Oder Übernacht-Lieferung für 151,90 €. FedEx bietet 68,03 € für Donnerstag (was zu spät ist) oder 203,51 € für Dienstag. Beim zweiten Versuch (um einem Kollegen zu zeigen, wie lächerlich teuer das ist), waren die Preise scheinbar niedriger. Was. Zum. Teufel.
Also, DHL. Bleibt noch die Frage, wie ich das zusammenbinden sollte. Für meine mickrigen 85 Blätter hilft ein Schnellhefter, aber für die 223 Blätter von dem anderen Kerl wird es schwierig, also habe ich einen dünnen Aktenordner benutzt. Naja, seht selbst:
Nachdem ich vier der fünf Bündel für uns beide gelocht hatte, bekam ich eine e-Mail, mit vier Bewerbern (mich eingeschlossen) in CC (anstatt in BCC, womit die Vertraulichkeit der Bewerbung gewahrt geblieben wäre, aber das ist noch das kleinste Problem):
Bewerbung für Professur
Liebe Bewerber,
Probleme beim Senden mit normaler Post.
Ich habe die Sache mit unserem Geschäftsführer diskutiert und wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass Sie die erbetenen Dokumente (wissenschaftliche Paper) auf CDs einsenden können. Sie müssen dann 5 CDs statt 5 Stapel wissenschaftliche Papier schicken.
[…]
Mann, war ich sauer in dem Moment. Die Bäume waren tot und ihre Reste mit Tinte verschmiert, und jetzt sagen die mir, alles umsonst? Ich musste mich wirklich zurückhalten, nicht eine e-Mail zu verschicken, in der ich mich bedanke, dass ich jetzt weiß, wer sich noch alles beworben hat und die Dame zu fragen, ob denn CDs auch okay sind, oder ob wir nicht doch eine Stufe mehr low-tech sein wollen und 3,5-Zoll-Disketten schicken sollten. Naja, geschrieben hatte ich das, aber nicht geschickt. Warum kann ich nicht einfach mein Zeugs irgendwo hochladen oder, noch besser, einen Link schicken, wo das sowieso öffentlich lesbar ist? Naja, aber vergleichsweise wurde alles dadurch billiger.
Letzten Endes habe ich die 5 CDs am Freitag morgen gebrannt und als 250-Gramm-Brief für 8,57 Euro verschickt. Jetzt warte ich darauf, dass die mich zu einem Talk einladen.
Kommentare
Eine Antwort zu „2 Bäume für Bergen“
[…] Original-Post (Das ist mein erster Blog-Eintrag auf Englisch. Eine Deutsche Übersetzung gibt es auch) […]