Aktuell habe ich mir ein sehr langes Fantasy-Buch vorgenommen habe, das, ähnlich wie das Simarillion, die Geschichte eines Volkes und dessen Interaktion mit ihrem Gott über mehrere Jahrtausende beschreibt. Leider ist das Buch schlecht redigiert, so dass das Lesen recht anstrengend ist, aber ich habe einen Lese-Führer dafür im Internet gefunden, der diese Mammutaufgabe in 365 kleine und (hoffentlich) abwechslungsreiche Portionen zerlegt. Nach etwa zweieinhalb Monaten Lesezeit hatte ich etwas weniger als die Hälfte geschafft, die letzten beiden Monate bin ich wesentlich langsamer vorangekommen.
Das Buch ist durch und durch frauenfeindlich. Okay, das ist Folklore meistens, im Allgemeinen. Da gibt es dann aber die Geschichte von einem Feldherren, der von einem von einer Frau geworfenen Stein tödlich verletzt wird, und mit seinen letzten Worten seinen Knecht anflieht, dieser möge ihn doch mit dem Schwert töten, um die Schmach nicht zu haben, von einem Weib umgebracht worden zu sein. Oder, als ein anderer „Held“ dieses Buches in der Fremde bedrängt wird, bietet er denen seine Tochter und seine Mätresse an, damit er unbeschadet aus der ganzen Sache rauskommt.
Das Buch ist aber auch anstrengend, weil es oft Wiederholungen hat der Art „Ihm wurde gesagt, er solle ABC tun, also tat er ABC, weil ihm gesagt wurde, er solle ABC tun.“ Dieser Satz alleine ist schon schwierig; wenn ABC aber eine seitenlange Arbeitsanweisung ist, wird es wirklich schwierig. Die Fans des Buches scheint es nicht zu stören, ebensowenig, dass auch widersprüchliche Geschichten direkt hintereinander kommen können und trotzdem beide zum Kanon gehören. Da ist zum Beispiel einer der größeren Helden, der vom König verfolgt wird. Nun kommt der König in die Hand des Helden, ohne es zu wissen, der König wird verschont, und der Held ruft ihn an, ihm zu sagen, wie toll er ist, und dass der König doch bitte mal die Verfolgung lassen soll. Der König ist einisichtig und die beiden vertragen sich (wieder). Im nächsten Kapitel wird der Held vom König verfolgt, der König kommt in des Helden Hand, ohne das zu wissen, wird aber verschont. Als der Held dem König klarmacht, dass er ihn hätte töten können, sieht der König ein, dass die Fehde doch nun endlich beiseite gelegt werden sollte.
Nein, ich habe mich da nicht aus Versehen vertippt. Die beiden Geschichten unterscheiden sich im Setting, aber sonst nicht. Beide gehören zum Kanon, ohne dass es einen Hinweis gibt, dass es zwei Geschichten gibt, oder dass es sich der König anders überlegt hatte, oder was auch immer.
Und dabei ist noch nicht eingerechnet, dass ein recht prominenter Teil der Geschichte über einen weiteren Helden, zeitlich ganz hinten einzuordnen, in vier Versionen kommt. Die Jugendgeschichte dieses Helden wird dabei zwiemal komplett unterschiedlich und widersprüchlich erzählt; einmal muss seine Familie für Jahre ins Exil, einmal wird er direkt in die Hauptstadt geschickt, um das Establishment aufzurütteln. (In der dritten Version wird die Kindheit nicht erwähnt, und die vierte Version habe ich noch vor mir). Zentrales Thema dieses Helden ist, dass er von einem seiner Helfer verraten und dann von der Obrigkeit, angeblich ohne substantielle Anklage, hingerichtet wird.
Es ist eine qualvolle Hinrichtungsmethode, sagen wir, er müsse so lange rennen, bis er vor Erschöpfung zusammenbricht und stirbt (die Details sind anders, aber egal). In der Fantasy-Welt, von der das Buch handelt, ist diese Methode aber recht normal. Typischerweise laufen die Verurteilten zwei Tage, bis sie nicht mehr aufgerichtet werden können und tot sind. Unser Held läuft ein paar Stunden und stirbt.
Der Leichnam wird schnell von allen Augen verborgen durch einen komplett unbeteiligten Wandersmann, der Held taucht wieder auf und alle sind froh. Nur in einer von den vier Versionen dieser Heldengeschichte wird behauptet, dass sich irgendwer die Mühe gemacht hat, nachzuprüfen, ob der Held wirklich tot ist. Ein Schelm, wer dabei böses denkt…
Das Volk, um das es in dem gesamten Epos geht, wird mir nicht sympathisch. Es ist kriegerisch, der Gott dieser Leute bestraft sie einmal dafür, dass sie nicht (!) alle ihre Feinde inklusive Frauen, Kinder und deren Vieh töteten, sie betrügen (und metzeln nieder) ihre Feinde und ihre Verbündeten, rechtfertigen das dann aber wieder mit Verweis auf ihren Gott, der ja – wie jeder ordentliche Gott – natürlich von sich behauptet, der einzige zu sein. Das ist aber auch ein bisschen inkonsistent, denn manchmal sagt er auch „nur“, er solle als einziger angebeten werden, und die Götter der Feinde sollten nicht angebetet werden. Da wankt dann das Dogma des einen Gottes innerhalb dieser Fantasy-Welt.
Viele Probleme, die dieses Volk bewältigen muss, haben den Ursprung in seinen eigenen Taten. „Helden“ töten irgendwen, unprovoziert, und daraufhin greift das Volk des Geschädigten dann an. Was natürlich, so die Meinung des Volkes, komplett ungerechtfertigt ist und doch bitteschön von dem Gott daroben niedergeschlagen werden soll.
Ich könnte noch lange über meine Probleme mit dem Buch schreiben, aber warum lese ich es eigentlich? Wäre es nicht die Grundlage für eine (und, zu großen Teilen, auch noch zwei andere) Weltreligion(en), würde ich mich damit wohl kaum abfinden. Aber langsam verstehe ich, warum die katholische Kirche nie wollte, dass irgendjemand wirklich mal liest, was in der Bibel steht.